IDENTITÄT GENOTYP/PHAENOTYP
Gabriele Seethaler in Zusammenarbeit mit Prof. Franz Neuhuber (Institut für Gerichtliche Medizin, Universität Salzburg) und Renald Deppe

Dr. Danielle Spera, 2002

Kaum ein Begriff hat das letzte Jahrzehnt so geprägt, wie die Gentechnik. Sie ist der Kern der modernen Biotechnologie, die Genforschung die Basis der modernen Biowissenschaften.

Ohne Zweifel ist die Gentechnik vielen nicht geheuer - die Materie ist auch alles andere als einfach. Vielleicht auch deshalb, weil Furcht und Faszination in diesem Bereich eng beieinander liegen:

Gentechnik in der Ernährung, medizinische Prävention und Therapie, die Chance, vielleicht doch bisher als unheilbar geltende Krankheiten zu bezwingen. Allergien durch genetisch veränderte Lebensmittel, gläserne Menschen, Killerviren, Designerbabys, Embryonenforschung, Gen-Diebstahl, Identifikation von Vätern oder Mördern, Menschenklonen, schönere Menschen. Das sind nur einige Schlagworte, die uns zum Begriff Gentechnologie spontan einfallen.

Der genetische Fingerabdruck, die DNA-Analyse, ist dabei ein besonderes Phänomen. Fast täglich werden wir in den Medien damit konfrontiert. Sei es, wenn bei Katastrophen wie z. B. dem Brand in der Standseilbahn von Kaprun, die Opfer nur auf diese Weise identifiziert werden können, wenn die Suche in einem Mordfall nur auf diese Weise Klärung bringen kann, oder wenn die Klatschspalten sich  mit Gerüchten über Vaterschaftsklagen überschlagen und auch hier dann der genetische Fingerprint endgültig Aufschluß bringt.

Der genetischen Fingerabruck als unentrinnbare Wahrheit oder Mythos? Jedenfalls ist er ein Schlüssel zur Identität, zur „Echtheit“ einer Person.  Genau mit diesem Thema setzt sich die promovierte Biochemikerin Gabriele Seethaler auseinander. Ausgebildet in der exakten Welt der Naturwissenschaften, hat sie ein faszinierendes Fusionsprojekt zwischen Kunst und Wissenschaft geschaffen, entstanden durch die Zusammenarbeit mit Prof. Franz Neuhuber und Prof.  Edith Tutsch-Bauer vom Institut für Gerichtsmedizin der Universität Salzburg und dem Komponisten Renald Deppe. Gabriele Seethaler hat dabei das Privileg, die exakte Welt der Wissenschaft mit der intuitiv strukturierten Welt der Kunst vereinbaren zu können.

Mit IDENTITÄT Genotyp-Phaenotyp ist ein reizvolles Konzept verwirklicht worden, dessen Faszination man sich kaum entziehen kann: Das äußere subjektive Erscheinungsbild, - im Falle Seethalers sind das Blicke in den Spiegel - wird mit dem genetischen Fingerabdruck - der objektiven Identität - kombiniert und vom Komponisten Renald Deppe in eine Partitur umgesetzt, sozusagen zum musikalischen Fingerabdruck transformiert.

Im Genotyp werden 11 Chromosomenpaare, zur Hälfte aus  väterlicher und mütterlicher Erbinformation zusammengesetzt,  zur DNA-Typisierung herangezogen. Die einzelnen Individuen unterscheiden sich durch die unterschiedliche Anzahl der Wiederholungseinheiten kurzer Sequenzen. Aus der Anzahl der Wiederholungseinheiten läßt sich der für jeden einzelnen charakteristische Genotyp bestimmen.

Die intuitiv und experimentell arbeitende Künstlerin Gabriele Seethaler sieht den genetischen Fingerabdruck als symbolisches Familienportrait, als ein Dokument unseres biologischen Ursprungs, genetischer Geschichte und Erinnerung. Die sogenannte Typisierung des Ich wird im Phaenotyp umgesetzt. Gabriele Seethaler lichtet ihre Modelle nicht direkt ab sondern läßt sie in einen Spiegel mit Facettenschliff blicken. Durch den Facettenschliff entsteht eine Kante, die das "zweite Gesicht" neben dem Spiegelbild zum Vorschein bringt. Genau diese Innenschau ist der zentrale Punkt in Gabriele Seethalers Arbeit. Die Aufnahmen zeigen viel eher das wahre Portrait und mit dem zweiten Gesicht "Seelenblicke".

Was so entstanden ist: ein kombiniertes Portrait aus genetischer Identität und phaenotypischer Identität, das in einen musikalischen Fingerabdruck transformiert wird. Dem Komponisten Renald Deppe ist es mit seiner faszinierenden Umsetzung gelungen, einen besonderen Akzent zu setzen. Er hat sich intensiv mit den Portraitierten auseinandergesezt, mit jedem einzelnen genetischen Fingerabdruck und dem Blick in den Spiegel. Dazu  hat der vielseitige Musiker die entsprechende Musik komponiert, sozusagen noch eine musikalische Identität geschaffen. Auch kalligraphisch sind dementsprechende Kunstwerke entstanden, die den Betrachter ganz in ihren Bann ziehen.

Gabriele Seethaler setzt mit ihrer neuen Arbeit die Tradition ihrer „Seelenblicke“ fort, die sie mit ihren außergewöhnlichen Spiegelportraits so eindrucksvoll begonnen hat. Auch hier erlebt man eine Zeitreise in die Kindheit, tief ins eigene Ich.

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit scheint nicht nur das Abbild, sondern auch das Leben endlos vervielfältig- und gestaltbar. Die Verschmelzung der Gentechnologien mit den Medien und ihren Visualisierungsformen bindet diese in ein duales Denken von Original und Kopie ein. Original, Spiegelbild und Dokument des biologischen Ursprungs in Kunst umgesetzt – eine Herausforderung, die in Seethalers Arbeit perfekt gelungen ist.

 

ART-SCIENCE FUSION

Leonardo da Vinci was probably the first and last person with unassailable claims to the front rank of both arts and science, although perhaps he was more of an engineer than a scientist (did Galileo paint at all?). The temptation to draw a sharp line between the Arts and the Sciences seems irresistible, and statistically speaking, high talent in any field of human endeavour is so rare that the probability of finding someone with the physical insight and mathematical skill of Einstein who could also paint like Picasso must be similar to the probability of a table spontaneously levitating.

It's not impossible, just terribly unlikely.

But although scientists and artists may look at different things and think in different ways, they are both human. Their creative instincts are surely similar, whether the artist is celebrating something or someone beautiful or interesting in a painting, or the scientist is getting to the bottom of a longstanding mystery. Both activities are extraordinarily difficult to do accurately and well, gracefully and simply. When you see these things done well, it looks effortless and obvious - inevitable. Rightly do we call "geniuses" the men and women who have such gifts. For example, Isaac Newton (1643-1727) and Johann Sebastian Bach (1685 -

1750) were approximate contemporaries. (Did Newton ever hear the Brandenburg concertos of 1721?) There is one curious difference between the scientist and the musician. Today, you can hear Bach's works performed every day of the year (or you could queue for hours for a glimpse of the Mona Lisa), whereas hardly anyone bothers to read what Newton wrote. And whereas if Bach or Mozart never lived, there would be no Brandenburg concertos or Marriage of Figaro, it is certain that Newton's explanations of the Universe would have been discovered by others. There is something actual, concrete and particular about works of art that scientific ideas don't have, although the experiments that lead to the ideas are another matter.

But few experiments last the way poems do. I suppose that at least the story of Newton's apple lives on, and it's as true today as it was in the 17th century that hardly anyone would connect a bump on the head from a falling fruit with the precise explanation for the moon's orbit.

I met Gabi Seethaler through a mutual (scientific) acquaintance, very much enjoyed having my photo taken and was very pleased with the result. Also intrigued: my face is seen in a mirror, so is this the way I normally see myself? And out of her bag, Gabi produced a small tube with a swizzle stick for scraping the mouth.

Miraculously, human DNA as well as bacterial transferred to the cotton wool, and thanks to the polymerase chain reaction and advances in DNA sequencing, a unique fingerprint emerged. I have no idea what this means, or how it informed or inspired the piece of music on which it is based. Nor what the piece will sound like. I don't know if this is Art or Science, but who cares, if it's fun.

 

Tim Hunt, Nobelpreisträger Medizin, 2001

South Mimms, 25 July, 2002.

UNIVERSITÄT SALZBURG

  INSTITUT FÜR GERICHTLICHE MEDIZIN

  Gabriele Seethaler

IDENTITY genotype-phenotype

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Franz Neuhuber und Prof. Dr. Edith Tutsch-Bauer

Vernissage: Mittwoch, 17. Oktober 2001

Die promovierte Biochemikerin Seethaler, ausgebildet in der exakten Welt der Naturwissenschaften, zeigt sich mit ihrer Serie IDENTITY genotype-phenotype  als einfühlsame, intuitiv und experimentell arbeitende Künstlerin.  Sie präsentiert ein Fusionsprojekt zwischen Kunst und Wissenschaft, entstanden durch die Zusammenarbeit mit dem Institut für Gerichtliche Medizin (Prof. Dr. Franz Neuhuber, Prof. Dr. Edith Tutsch-Bauer). Gleichsam als Visitenkarte stellt sich das Institut durch Portraits seiner Mitarbeiter, kombiniert mit ihren eigenen Arbeiten, den genetischen Fingerabdrücken, vor.

IDENTITY CARDS werden produziert, Dokumente, die genetische Identität ( Formel dessen was ihn/sie objektiv unterscheidet) mit phänotypischer Identität (Formel dessen was ihn/sie subjektiv unterscheidet) kombiniert.

GENOTYPE: Bestimmte Abschnitte auf zehn verschiedenen Chromosomenpaaren (setzen sich je zur Hälfte aus väterlicher und mütterlicher Erbinformation zusammen) in nicht-codierenden Regionen des Genoms werden zur DNA-Typisierung herangezogen. Die einzelnen Individuen unterscheiden sich durch die unterschiedliche Anzahl der Wiederholungseinheiten kurzer Sequenzen und somit in der Länge der einzelnen Loci. Aus der Anzahl der Wiederholungseinheiten läßt sich der für jeden einzelnen charakteristische Genotyp bestimmen.

Der genetische Fingerabdruck, kann als symbolisches Familienportrait gesehen werden; ein Dokument unseres biologischen Ursprungs, genetischer Geschichte und Erinnerung.

PHENOTYPE:Typisierung des Ichs. Gabriele Seethalers vor dem Spiegel aufgenommene Fotoportraits, phänotypischer Part der Identity-Cards, repräsentieren die Typisierung von visueller Identität/Differenz, die Typisierung von subjektiver Erscheinung. Da nicht direkt fotografiert wird, nimmt der Spiegel die Scheu vor der Kamera und die Modelle können sich viel natürlicher geben. Die Aufnahmen zeigen viel eher das wahre Portrait und mit dem zweiten Gesicht „Seelenblicke“.

Die biogenetische Identität (genetischer Fingerabdruck) markiert nicht manipulierbare Kennzeichnung, die genetische symbolische Ordnung, die (bis jetzt) nicht geändert werden kann, im Gegensatz zur subjektiven Identität, die erweitert, verändert, aber nicht kopiert werden kann.

Die Fotos wurden als großformatige Jet-Prints auf semitransparente Folie abgezogen

Vielen Dank an unseren Sponsor: Applied Biosystems

© Spiegelportraits: Gabriele Seethaler

© musikalische Identitäten: Renald Deppe

© genetische fingerprints: Franz Neuhuber

GABRIELE SEETHALERART SCIENCE FUSION
© 2009 Gabriele Seethaler